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In the Eye of the Beholder – Virtual-Reality und Autismusforschung

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Bildrechte Titelbild: © HQUALITY - Adobe Stock

Bildquelle: newsweek.com

Die Welt wie sie (nicht) ist…

Viele von uns kennen das Gefühl absoluter Reizüberflutung. Man hat vielleicht nicht gut geschlafen und zu wenig getrunken, die Shopping-Mall ist überfüllt, der Sauerstoffgehalt lässt zu wünschen übrig … ein Gefühl von Schwindel überkommt einen – ein paarmal tief durchatmen und raus aus dem Tumult: Zumeist bedeutet dieser Schritt die (Er-)lösung. Danach schwört man sich aufs Neue, an keinem Samstagnachmittag je wieder zum Einkaufen zu fahren.

Unangenehm sind solche Empfindungen. Freilich hat sie nicht jeder, wir alle sind unterschiedlich veranlagt in Perzeption und Reizverarbeitung. Dass so manch ein Erdenbewohner viel massiver mit dieser Form von Problematik zu kämpfen hat, wissen wir, wenn der Begriff Autismus auftaucht. Wir haben eine Vorstellung davon, dass das alltägliche Leben anders aussehen muss, dass Betroffenen ein Gefühl für Zeit und Struktur fehlt, auch Körpergrenzen anders wahrgenommen werden. Nachempfinden, wirklich spüren, wie es sich anfühlt, dem Leben unter diesen speziellen Umständen zu begegnen … das schien bislang unmöglich. Auch Angehörige wurden häufig mit dieser hohen Bürde konfrontiert, so sie im Rahmen ambitionierter Vermittlungsansätze ihr Gegenüber nicht zu „erreichen“ schienen. Doch was wäre die Welt ohne VR? Gerade 360-Grad-Videos können nicht nur einen wichtigen, sondern auch umfassenden Einblick in das vielfältige und komplexe Innenleben von Menschen mit autistischer Störung vermitteln und ihnen offensichtlich dabei helfen, in dieser – unserer – Welt etwas mehr anzukommen. Aber auch Normalos haben durch Virtual Reality die großartige Möglichkeit, so Einiges über das Wesen des Menschen zu erfahren…

Eine Autismus-Spektrum-Störung (ASD) basiert auf Störungen des Zentralen Nervensystems im Bereich der Wahrnehmungsverarbeitung. Die Auswirkungen behindern Beziehungen zur Umwelt und Gemeinschaft; die Integrierung in soziale Gruppen ist ein großes Problem und wird für Angehörige zur Mammutaufgabe. Kognitive, sprachliche oder motorische Veranlagung differieren von der eines Normalo-Bürgers. Trotz der vielen Einschränkungen (oder gerade deshalb) ist mancher von Autismus betroffene Mensch hochbegabt. Dennoch leidet die zwischenmenschliche Ebene seit frühester Kindheit und vielen Autisten bleibt es verwehrt, nicht zuletzt auch gegenüber den eigenen Eltern, einen normalen Kontakt zur Außenwelt herzustellen.

Bewusstsein erweitern

„Beholder“, Installationsansicht. Bildquelle:bom.org.uk

Matt Clark ist ein Künstler, der von derartigen Umständen ein Lied singen kann. Als Vater eines 15-jährigen, von Autismus betroffenen Sohnes, war es ihm ein großes Anliegen, auf gesellschaftlicher Ebene mehr Verständnis für diese gesundheitliche Disposition zu etablieren. Firmiert unter der Bezeichnung United Visual Artists, schuf Clark gemeinsam mit anderen Künstlern eine Videoarbeit, die mehr Einsicht in das Leben und die Wahrnehmung eines autistischen Menschen bringen sollte. Sie beschlossen, VR als Mittel zur Erkundung der außergewöhnlichen Wahrnehmungsmodi einzusetzen, die dem Syndrom des Autismus zugrunde liegen. Clark beobachtete seinen Sohn gezielter, erforschte auch Beiträge anderer Betroffener und konzentrierte sich in seiner Arbeit nun auf die positiven Erlebnisse und Empfindungen, die ihm von außen zuteil wurden. Der Ansatz von „Beholder“ ist dementsprechend, die Wunder alltäglicher Phänomene aus der Perspektive autistischer Menschen zu zeigen. Sensorische Erlebnisse und die für Autismus signifikante, veränderte Auffassung von zeitlichem Erleben, spielen bei der Videoarbeit eine zentrale Rolle. Mit der VR-Brille kann der Betrachter sich in die Welt dieser Empfindungen hineinbegeben. In einer Szene werden z.B. Spatzen und deren spezifische Flugmuster gezeigt, während die Wahrnehmung des Zuschauers im Hinblick auf Zeit und Raum subtil Veränderungen erfährt…

Screenshot aus der Arbeit „Beholder“ Bildquelle: uva.co.uk

Bereits im Victoria & Albert Museum präsentiert und nun in einer Kunstgalerie in Birmingham zu erleben, verhält es sich mit einem Erfahrungsbericht wie folgt:

„The forest is still– up until, out of the corner of my eye, I discover a butterfly flutter into view. At initially it is hardly noticeable, however as I see the butterfly more intently, the trees around it darken and the pest grows brighter. The more I admire it, the more wonderful it ends up being, making it difficult for me to avert. Before long the whole forest declines, and the butterfly blows up into a red starburst, like a fireworks show. Everything goes dark. Then, lots of white dots swarm around me. On my left, they are simply dots. On my right, they leave long routes of spaghetti-like light. The contrast makes me acutely mindful that today is never ever experienced as a mathematical immediate; it has some period, and the understanding of that can differ with context.“

Aufmerksamkeitsprozesse im Visier

Seit einigen Jahren erforschen Wissenschaftler das Potential von Virtual Reality in Bezug auf Autismus-Spektrum-Störungen. Im Bereich der sozialen Kognition ist es mit VR und deren fortschreitender Entwicklung inzwischen möglich, komplexe und wechselseitige Interaktionen besser zu verstehen. Dabei spielt der Ansatz von Second-Person-Neuroscience eine zentrale Rolle: Gehirnaktivitäten werden just im Zeitpunkt zwischenmenschlicher Interaktion untersucht. Experimentelle Untersuchungen erfordern immer eine genaue Beobachtung und Kontrolle der Bedingungen. Virtuelle Avatare als Gegenspieler für wissenschaftliche Erhebungen dieser Art sind deshalb so vorteilhaft und vielversprechend, da zum Beispiel mit Hilfe von Eye-Tracking genau sondiert werden kann, wohin der Betroffene schaut oder welches Signal im Gegenüber seine Aufmerksamkeit beansprucht. Über VR lassen sich diese Aufmerksamkeitsprozesse detailliert steuern.

Die Sinneserfahrung ändert sich mit dem Kontext. Screenshot aus einem Video-Feed des Forschungsprojektes von Dr. Nagai

Mit Hilfe neuronaler Robotik untersucht Dr. Nagai, Wissenschaftlerin vom Nationalen Institut für Informations- und Kommunikationstechnologie in Osaka, eingehend die sozialen und kognitiven Entwicklungsmuster des Menschen. Ihre Arbeitsgruppe entwickelte einen Simulator, der in der Lage ist, atypische Wahrnehmungsmuster von Autismus-Störungen zu reproduzieren und verwendete dafür zweiundzwanzig persönliche Videoaufnahmen von Betroffenen in unterschiedlichen Alltagssituationen. Dabei selektierten die Probanden aus zwölf verschiedenen VFX und bestimmten Intensität und Ausmaß der Reizeinwirkung. Besonders häufig wurden die Kategorien Überbelichtung, Unschärfe, visueller Schnee und erhöhter Kontrast gewählt. Für die Betroffenen bedeutet die Visualisierung eine Bewusstwerdung von Wahrnehmungsunterschieden. Nagai sieht in dieser Herangehensweise auch eine Möglichkeit, Architektur und Design von Gebäuden und Räumlichkeiten genauer unter die Lupe zu nehmen und bei deren Gestaltung die Neurodiversität zu berücksichtigen.

Die UN schätzt, dass es ca. 67 Millionen Autisten weltweit gibt. Eine Problematik ist die Integration auf dem Arbeitsmarkt. Obwohl viele Menschen mit Autismus einer Arbeit nachgehen möchten, wird oft schon der Weg zum Arbeitsplatz zur Tortur. Inhaltlich kann Multi-Tasking-Anforderungen nicht nachgekommen werden; das Langzeitgedächtnis jedoch funktioniert oft besser als beim Durchschnittsmenschen. Daher wird inzwischen in Fragen der Integration besonderer Wert darauf gelegt, spezifische Fähigkeiten von Anwärtern zu fördern. Hierdurch sollen mangelnde soziale Kompetenzen nicht ins Gewicht fallen. Ein erster Schritt in diese Richtung bleibt zunächst aber der Weg zum Bewerbungsgespräch. Mimik und Gestik im Gegenüber zu lesen, herauszufiltern, was der Vorgesetzte vermitteln möchte, welche Anforderungen er hat – all das kann überwältigend sein und gar davon abhalten, sich für einen Job zu bewerben.

Mimik-Training mit Avataren

Um den Betroffenen den Einstieg ins Berufsleben zu erleichtern, wurden mit Hilfe von VR-Videos schon verschiedene Soft-Skill-/Bewerbungstrainings entwickelt. In der Dan-Marino-Foundation konzipierte man in Zusammenarbeit mit Magic Leap und dem Institute of Creative Technologies der University of Southern California ein Virtual-Reality-Video mit sechs Avataren unterschiedlicher Ethnie, die, männlich und weiblich, in unterschiedlicher Stimmung mit verschiedenen Erwartungshaltungen an die autistischen Bewerber herantraten.

In einer Pilotstudie stellte die Stiftung fest, dass bereits vier Sitzungen mit dem Avatar die Interview-Ergebnisse der Probanden um 80 Prozent verbessern konnten. Ähnlich hilfreich scheinen derartige VR-Simulationen zu sein, wenn es darum geht, sich vor Publikum mitzuteilen. Auch Avatare mit gespiegelten Empfindungen tragen dazu bei, sich in Echtzeit über die eigenen Gefühle klar zu werden und dynamisch soziale Interaktion zu trainieren.

„Whenever I design a VR application in a clinical area, I look at, okay, what do we know works in the real world that we can use VR to amplify, or extent the effect?“                                                                                                              Albert Rizzo, Director Medical VR Institute of Technologies, USC

Auch Virtual-Reality-Spiele können die Belastung bei Autismus steigern und die Hand-Auge-Koordination trainieren. Nicht zuletzt wird auch geübt, Einfluss auf die Umgebung zu nehmen, ohne einer Überlastung der Sinne ausgesetzt sein zu müssen. Da VR-Rollenspiele bei autistischen Störungen nachweislich zu neuen Fertigkeiten führen, können spezifische Spiele für Betroffene ebenfalls unterstützend wirken. In einigen Einrichtungen wird mit auf den Boden projizierten 3D-Visuals gearbeitet.

Wenn auch Sie die spannenden und vielfältigen Potentiale von 360-Grad-Anwendungen kennenlernen möchten: Unsere erfahrenen Experten der Aspekteins GmbH stehen Ihnen gerne mit Rat und Tat zur Verfügung.

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Bildrechte Titelbild: © HQUALITY – Adobe Stock

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