VR-Expositionstherapie: Angststörungen erfolgreich überwinden?

14. Januar 2022 Katrin Pape

VR-Expositionstherapie: Angststörungen erfolgreich überwinden?

Hier in Deutschland leiden beträchtliche zehn Millionen Menschen unter Angststörungen, wovon 5-10 Prozent von Sozialer Phobie betroffen sind: einer Angststörung, die sich aus der Begegnung mit anderen Menschen ergibt.

Ein beachtlicher Anteil, wenn man bedenkt, dass wir alle tagtäglich mit Menschen zu tun haben, also der Begegnung mit Mitmenschen gar nicht komplett entgehen können.

Daraus folgt, dass sich viele Betroffene zurückziehen; sie gehen weniger bis gar nicht mehr aus dem Haus, meiden Menschenansammlungen und andere Aktivitäten des alltäglichen Lebens, die sie in Konflikt mit der Angst bringen könnten.

Das Problem bei denjenigen, die sich gerne Hilfe suchen möchten: ein eklatanter Mangel an Therapieplätzen. Kassenpatienten warten rund sechs Monate auf einen Platz. Jedes Jahr steigt die Wartezeit sogar weiter an!

Ein noch größeres Problem hierbei ist, dass unbehandelte Angststörungen einen chronischen Verlauf nehmen…

Lernumgebung Reizkonfrontation

2018 führte die Goethe-Universität Frankfurt bereits intensive Studien zum Thema VR und Angststörungen durch. Dafür wurden z.B. auch einzelne Therapiemaßnahmen der Kognitiven Verhaltenstherapie genauer untersucht und die Expositionstherapie, d.h. die direkte Konfrontation mit vermiedenen Reizen, als gangbarer Weg für VR-Therapiekonzepte ermittelt.

VR-Expositionstherapie heißt auch für VR-Headset-Teilnehmer, sich einer Konfrontation mit gemiedenen Reizen auszusetzen. Hier: Forschungsprojekt OPTAPEB/u.a. Fraunhofer ILS, Uni Regensburg. Mit Hilfe körpernaher Sensoriken wird das Befinden des Klienten für den Therapeuten deutlich. Letzterer kann die Sitzung konstruktiv begleiten und spätere Sitzungen anhand der Daten entsprechend anpassen. Bildquelle: ztm.de

Mittlerweile ist die VR-Therapie-App der Uni Frankfurt erprobt und die dortige Schwerpunktambulanz für Angststörungen kann Hilfesuchenden auch offiziell eine VR-Expositionstherapie anbieten. Auch die Hochschulambulanz der Uni Regensburg hat diese Form der VR-Therapie im Portfolio – im Rahmen einer regulären Psychotherapie oder als Kompaktbehandlung.

VR-Expositionstherapie bietet einen hilfreichen Einstieg in die Reizkonfrontation. Bildquelle: optapeb.de

Merkmal der Expositionstherapie ist es, den Klienten schrittweise, wiederholt und systematisch mit den angstauslösenden Situationen zu konfrontieren und die Angstreaktion im Verlauf der Therapie immer mehr abzuschwächen. Darüber hinaus können negative Assoziationen hinsichtlich einer gefürchteten Situation oder eines Objektes verlernt werden und Klienten schließlich mit ihrer Angst besser umgehen.

Die Reizkonfrontation basiert also auf spezifischen Übungen und ist grundlegend recht aufwendig: es müssen die richtigen Bedingungen herrschen, Reize erst aufgesucht werden und nicht jeder Klient hat zudem die Möglichkeit, die gefürchtete Konfrontation auch in Begleitung seines Therapeuten zu durchlaufen.

Oftmals werden die angstauslösenden Situationen zuvor mit Hilfe des Verhaltenstherapeuten mental in der Praxis durchimaginiert und anhand von Entspannungsübungen versucht, neues Verhalten erfolgreich zu etablieren.

Problematisch ist die Unmöglichkeit, diese imaginale Exposition entsprechend zu kontrollieren. Der Therapeut kann einfach nicht wissen, wie sich sein Klient etwas vorstellt. Wenn aber Therapeuten keine Möglichkeit haben, die Exposition ihrer Klienten zu kontrollieren, kann diese den Hilfesuchenden sogar sensibilisieren und die Angst verstärken.

Fast drei Jahrzehnte forschte die Wissenschaft nach zusätzlichen Möglichkeiten, Expositionstherapie zu verbessern und flexiblere Anwendungsszenarien zu gestalten. Ist VR-Expositionstherapie des Forschens Lösung?

VR-Expositionstherapie; die Therapeutin bleibt für den Klienten während der Anwendung präsent. Bildquelle: sstran2.people.uic.edu

Die VR-App bietet hier einen interessanten Vorteil: Nutzer können sich sofort mit angstauslösenden Stimuli konfrontieren und Situationen systematisch immer wieder durchspielen. Der Klient muss also nicht erst darauf warten, bis die in der Therapie angesprochene Reizkonfrontation im Alltag umgesetzt werden kann.

Vorteil VR-Expositionstherapie

Auch ist es für Angst-Patienten leichter, sich zunächst auf virtuelle Reizkonfrontation einzulassen. Die dargestellten Situationen sind nicht in der Wirklichkeit verankert und bieten eine niedrige Schwelle für einen Einstieg in die Expositionstherapie. Der spezifische Reiz der VR-App ist dennoch sehr stark und hat unmittelbaren Einfluss auf den Betroffenen, denn wie wir wissen unterscheidet das Gehirn nicht zwischen realer und virtueller Welt.

Entsprechend der angstauslösenden Stimuli erfährt der Klient also trotzdem die durch das vegetative Nervensystem und den Sympathikus ausgelösten körperlichen Vorgänge wie erhöhte Atemfrequenz, Blutdruckerhöhung oder Muskelanspannung und erlebt auch die virtuelle „Bedrohung“ als relativ real.

Und genau hier setzt die VR-Therapie an: der Klient lernt zunehmend, dass es nichts „Schlimmes“ zu befürchten gibt.

Dabei ermöglicht VR auch während der Konfrontation eine direkte Verbindung zum Therapeuten. Mehr noch: dieser kann über entsprechende Sensoriken physiologische Signale, d.h. Rückmeldungen über die Situation des Klienten, gewinnen. Letztlich kann der Therapeut eine VR-Therapiesitzung in Echtzeit steuern. Das setzt natürlich eine gute kommunikative Basis und auch viel Vertrauen voraus.

Das Potential indes ist riesig.

Bildquelle: nw.de

Im Zuge dessen erfolgt eine kognitive Umstrukturierung, die aus der bewussten Auseinandersetzung der Betroffenen mit der Reizkonfrontation hervorgeht und die Angstreaktionen sukzessiv herabsetzen kann.

Am Ende wird auf eine reale Reizkonfrontation keinesfalls verzichtet – sie bildet den wichtigen Abschluss der VR-Therapie. Daher müssen z.B. Anwender der von der Uni Regensburg angebotenen Kompakttherapie auch nach erfolgter VR-Sitzung in der handfesten Wirklichkeit auf Reiz-Konfrontation gehen. Gemeinsam mit dem Therapeuten wird diese Erfahrung später besprochen und ausgewertet.

Schon zuvor haben Studien u.a. ergeben, dass Klienten unter VR-Therapie erhöhte neuronale Reaktionen in denjenigen Hirnregionen aufweisen, die für autobiografische und selbst-referentielle Gedächtnisprozesse verantwortlich sind und insgesamt weniger von negativen Bewertungen belastet waren (d.h. mit Blick auf die Bewältigung der virtuellen Reizkonfrontation).

Möglicherweise wirkt die VR-Therapie unter dem Headset also deshalb so gut, weil eine umfassendere Verarbeitung von Stimuli-Reiz-Geschehnissen durch Klienten stattfinden und direkt vor Ort mit dem Therapeuten analysiert werden kann?

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