Doppelt sieht besser – Wie funktioniert Stereoskopie?

13. März 2020 Katrin Pape

Doppelt sieht besser – Wie funktioniert Stereoskopie?

Um zu verstehen, wie VR-Headsets Nutzer glaubhaft in fremde Welten versetzen können, bedarf es auch einer näheren Betrachtung der Stereoskopie.

Um abschätzen zu können, wie weit ein Objekt entfernt ist, verlassen sich Menschen nicht nur auf eine Methode: Für unsere Tiefenwahrnehmung greifen wir so zum Beispiel auf unsere Erfahrung (Welche Größe nimmt das Objekt im Blickfeld ein? Wie groß ist das Objekt meiner Erfahrung nach?) und auf den Parallaxen-Effekt (Wie sehr bewegt sich das Objekt im Vergleich zum Hintergrund bei kleinen Bewegungen) zurück. Den aber vielleicht wichtigsten Anteil an unserer Tiefenwahrnehmung hat das stereoskopische Sehen.

Der Begriff Stereoskopie setzt sich aus den beiden griechischen Ableitungen stereos (räumlich) und skopeo (betrachten) zusammen und umschreibt die Wiedergabe von Bildern unter Eindruck einer räumlichen Tiefendimension.

Hintergrund ist die Orientierung an unserem natürlichen, optischen Phänomen: wir sehen Menschen und Gegenstände mit unseren beiden Augen aus zwei verschiedenen Blickwinkeln: das linke Auge sieht etwas mehr vom linken Sehbereich, das rechte Auge dagegen sieht mehr Inhalte im Bereich des rechten Sichtfensters.

Bildquelle: burosch.de

Dieser Umstand hängt mit dem Pupillenabstand zusammen, denn zwischen beiden Augen liegt hier eine Entfernung von ca. 6,5 cm.

Fokussieren wir einen Gegenstand, so fällt sein Abbild direkt auf die Fovea: dieser Punkt liegt auf unserer Netzhaut (Retina) und wird auch Sehgrube genannt. In dieser „Grube“ kommt die höchste Sehschärfe zustande, die unser Auge aufbieten kann, denn hier liegen besonders viele empfindliche Sinneszellen. Im Umkehrschluss sind alle Objekte außerhalb dieses Bereichs für den Wahrnehmenden auch unscharf.

Der fokussierte Gegenstand wird also auf unserer linken Netzhaut etwas anders abgebildet, als auf der Netzhaut unseres rechten Auges. Unser Gehirn hat aber kein Problem mit dieser Ungleichheit: es errechnet bei der „Fusion“ aus diesem Versatz, d.h. dem Unterschied der Abbilder, die fehlende räumliche Tiefeninformation.

Diesen Umstand machen sich VR-Headsets zu Nutze: So wird das angezeigte Bild zu jeder Zeit aus zwei leicht zueinander verschobenen Positionen berechnet und jeweils auf das linke bzw. rechte Auge projiziert.

Aus zwei mach eins-oder: doppelt sieht besser

Stereoskopie wurde schon früh für Unterhaltungszwecke eingesetzt. So konnten zwei synchrone Halbbilder als stereoskopisches Bild zusammengeführt werden.

Wheatstones Stereoskop. Bildquelle: journals.openedition.org

Das erste Modell kam von Charles Wheatstone auf Grundlage zweier rechtwinklig gegeneinander geneigter Spiegel, an deren Seiten verschiebbare Brettchen mit den perspektivisch umgekehrten Zeichnungen des Objekts angebracht wurden. Beim Geradeaussehen fügten sich auch hier die Halbbilder zu einem Bild zusammen. Da die Erfindung der Fotografie erst kurze Zeit später auf den Plan trat, erwies sich dieser Beitrag zur Stereoskopie als etwas kompliziert – mussten doch die Zeichnungen eben unter Berücksichtigung der Seh-Differenz aufwendig hergestellt werden.

David Brewster machte das Stereoskop salonfähig und der Apparat avancierte Mitte des 19. Jahrhunderts zum Highlight technischer Neuheiten. Dieses Modell zeichnete sich nicht nur durch eine relative Erschwinglichkeit aus, sondern auch durch überzeugende Handlichkeit: Man musste sich lediglich einen kleinen Holzkasten vor die Augen halten und durch die beiden optischen Linsen auf die gegenüberliegende Fotografie schauen.

Frühes Stereoskop nach Wendell Holmes/ um 1861. Bildquelle: lynmuseum.ca

1861 gab es schließlich eine noch mobilere Version mit einer Holzvorrichtung zum Abschirmen der Augen und verstellbarem Betrachtungsabstand. Dieses Stereoskop (nach O.W. Holmes) wurde dann für lange Zeit auch das Standardmodell stereoskopischer Betrachtungsweisen.

View Master. Bildquelle: imgur.com

Ende der 1930er Jahre gab es als stereoskopische Weiterentwicklung dann z.B. den View-Master, noch später Anaglyphenbilder.

Beim (Farb-)Anaglyphen-Verfahren werden die beiden Halbbilder aufeinander gedruckt und je komplementär eingefärbt.

Rot-Cyan-Anaglyphe: Zum Betrachten wird eine spezif. Brille benötigt. Bildquelle: pinterest.de//pin/861876447410139637/

Stereoskopische Aufnahmen mit der 360-Grad- Kamera

Stereoproduktionen zielen folglich darauf ab, Aufnahmen unter dem Eindruck räumlicher Tiefendimension zu erschaffen. Dafür reichen in klassischen Videos zunächst zwei Objektive.

Für 360-Grad-Aufnahmen sind jedoch generell mehr Linsen nötig, da für jedes Auge ein komplettes 360-Grad-Panorama erstellt werden muss. Hochqualitative, stereoskopische Kamerasysteme arbeiten mit mehreren Linsen und dienen der Ansicht mit VR-Brillen, um einen noch realistischeren Umgebungseindruck für den Betrachter generieren zu können.

Bei einem Multi-Kamera-System, also einer Kamera mit einer Vielzahl an Objektiven, nimmt jedes Objektiv aus dem eigenen Winkel heraus einen entsprechenden Bereich der Umgebung auf. Über eine Stitching-Software werden diese Teilansichten anschließend in der Postproduktion als komplette 360-Grad-Ansicht zusammengefügt.

Die erste Generation an stereoskopischen 360-Grad-Kamerasystemen setzte dafür auf ein konventionelles Verfahren: Die Kameras wurden so angeordnet, dass in jede Richtung zwei Kameras mit Augenabstand filmten. Moderne 360-Grad-Kamerasysteme funktionieren jedoch anders:

Die Linsen sind hierbei kreisrund angeordnet. Die Bildbereiche überlappen sich dabei so, dass der komplette 360-Grad-Raum von der Hälfte der Linsen abgebildet werden könnte. Um ein stereoskopisches Bild zu erstellen, können jedoch nicht einfach jeweils die Hälfte der Linsen für das rechte und das linke Bild genutzt werden: Vielmehr muss bei jedem Bild auf bestimmte Teile der Aufnahmen zurückgegriffen werden: Das Bild des rechten Auges besteht so aus den rechten Hälften aller Aufnahmen der einzelnen Linsen, das Bild für das linke Auge dagegen aus den linken Bildhälften, die zu einem vollständigen Panorama zusammengesetzt werden.

Wichtig ist jedoch, zu beachten, dass der Stereoskopie-Effekt natürlich nur funktioniert, wenn der Kopf des Betrachters nicht zu stark geneigt ist. Besonders, wenn der Zuschauer in Richtung des Nadirs (also nach unten) oder des Zenits (also nach oben) blickt, kann das zu großen Problemen führen: Dreht der Nutzer hier seinen Kopf, so sieht er zwar noch dieselben Bildbereiche, aber die Ausrichtung seiner Augen hat sich gedreht. Somit müsste sich auch die Parallaxe des aufgenommenen Bildes verschieben. Da es sich bei den Realfilmaufnahmen aber nicht um in Echtzeit berechnete Bilder handelt, ist dies unmöglich. Aus diesem Grund können Inhalte, die im Nadir oder Zenit liegen, immer nur monoskopisch (also ohne stereoskopische Verschiebung) abgebildet werden, wenn man Stereoskopie-Fehler vermeiden will. Die Kunst ist es, den Übergang vom stereoskopischen zum monoskopischen Bild möglichst elegant zu verstecken, sodass Zuschauern diese Beschränkung der Technik nicht auffällt.

Zur Aufnahme verwenden stereoskopische 360-Grad-Kameras recht unterschiedliche Anordnungen von Linsen bzw. Linsenpaaren: Während die Insta360 Pro 2 sechs Linsen mit einem FOV bzw. Blickwinkel von 200 Grad einsetzt, nimmt die Samsung 360 Round nicht nur mit 8 Linsenpaaren und einem 180-Grad-FOV auf (in einem Winkel von 45 Grad zueinander), sondern arbeitet zusätzlich mit einer Top-Linse bei weiteren 60 Grad.

Kandao Obsidian R filmt vertikal 6x mit 185-Grad/360-Grad-Kamera. Bildquelle: ifworlddesignguide.com

Einige Voraussetzungen guter Stereo-Aufnahmen:

  • Die Bilder müssen auf Basis des menschlichen Augenabstands von ca. 6,5 Zentimetern erfolgen: d.h. die Objektive müssen in diesem Abstand verbaut sein (Stereobasis)
  • Gleiche Bildachse der (Halb-)Bilder, um z.B. Höhenparallaxen (Bildverschiebungen) zu vermeiden
  • Gleiches Field-of-View bzw. Bildwinkel für jede Kameraeinstellung
  • Belichtung muss zwingend je Winkel aufeinander abgestimmt sein, um ein visuell schlüssiges Gesamtbild zu erzeugen
  • Inhalte im Zenit und Nadir dürfen nur monoskopisch gestaltet werden. Der Übergang dazu muss gut versteckt werden
  • Stitchingfehler, die im Patching behoben werden, müssen auf beiden Bildseiten identisch (bzw. leicht zueinander verschoben) bearbeitet werden

Um eine Aufnahme gemäß dem eigenen stereoskopischen Sehvorgang immersiv erleben zu können, muss eine VR-Brille hinzugezogen werden. Nun werden die Bilder durch die Headset-Displays erzeugt. Auch für die Postproduktion stereoskopischer Aufnahmen ist es unumgänglich, Zwischenergebnisse regelmäßig mit einem VR-Headset zu prüfen.

Lesen Sie hier mehr über die Funktionsweise eines VR-Headsets.

Die Aspekteins GmbH hat sich auf hochprofessionelle Virtual-Reality- und 360-Grad-Produktionen spezialisiert – sowohl passiver wie auch interaktiver Form. Wir beraten Sie gerne und würden uns freuen, Sie bei Ihrer 360-Grad-Produktion unterstützen zu dürfen.

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Bildrechte Titelbild: © Svetlana Fedoseeva – Adobe Stock

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